Digitale demokratische Unterrichts- und Schulkulturentwicklung und Curriculumtheorie
Abstract
Demokratische Schulentwicklung hat mit der Bestimmung der ‚Schule in der Demokratie und für die Demokratie‘ (Wolfgang Edelstein) eine normative Grundlage. Aufgabe fachdidaktischer und demokratiepädagogischer Forschung ist es zu reflektieren, in welchem Verhältnis die Institution Schule zu staatlichen Strukturen und zu Zivilgesellschaft steht – und wie die Rolle von Kindern und Jugendlichen in diesen Verhältnissen bestimmt wird: Wie hängt eine Demokratisierung der Schule mit Demokratie in der Schule mit einer demokratischen, lernenden Gesellschaft zusammen?
Diese Frage ist für digitale demokratische Schulentwicklung und für „digital citizenship“ im Besonderen relevant: Pädagog*innen benötigen demokratische Professionsverständnisse in sich verändernden „Strukturbedingungen des Handelns“ (Felix Stalder), um Inhalte und Verfahren gemeinsam mit den Lernenden begründen zu können. Welche Rolle spielen Professionsverständnisse, um den Blick von der „Digitalisierung“ (d.h. vom Fokus auf Infrastrukturen / digitales Equipment) hin zur „Digitalität“ (d.h. zur Vergesellschaftung) zu richten, wie also digitale Strukturbedingungen des Handelns in sozialen Verhältnissen verorten?
Relevante Fragestellungen können dabei an der Schnittstelle von Professionsverständnissen, Kinderrechten und Curriculumtheorie ausgemacht werden. Domänenspezifische, fachorientierte Zugangsweisen zu Bildungs- und Lehrplänen können mit einer subjektorientierten Auswahl und Begründung des Wissenswerten kombiniert werden, um digitalen Fachunterricht zu entwickeln. Diese Verbindungslinie ist eine fortdauernde Aufgabe digitaler Curriculumentwicklung: Ein Curriculum, das eine Fachkultur mit den Relevanzsystemen von Kindern und Jugendlichen verknüpft, kann beim Entwickeln digitaler Lernprozesse Potenziale entfalten, junge Menschen systematisch und dauerhaft qua Curricula als Akteur*innen anzuerkennen. Im Mittelpunkt steht dann die curriculare Frage nach Kohärenz von Fachlogiken, Vermittlungs- und Aneignungsperspektiven. Das bedeutet für die Curriculumgestaltung digitalen Unterrichts mit Schüler*innen gemeinsam und fachbezogen zu fragen: Was sind die „animating principles” (Michael Young) die von Lernenden verinnerlicht werden müssen? Und welche Wirkungen können digitale Werkzeuge und Kommunikationsformen dazu entfalten?
Insofern ist es erforderlich curriculumtheoretisch zu untersuchen, welche Rollen Kindern und Jugendlichen zugeschrieben werden und wie schulische und außerschulische Akteur*innen mit welchen Professionsverständnissen das „Wissenswerte“ selbst begründen.
Dazu sollen im Anschluss an aktuelle Entwicklungen der internationalen Curriculumforschung auf Grundlage von Dokumentenanalysen und der Erhebung von Akteursvorstellungen durch leitfadengestützten E-Interviews / Interviews folgende Leitfragen fokussiert werden:
- Welche kinderrechtsorientierten Lesarten können in Handreichungen, Bildungs- und Lehrplänen rekonstruiert werden, die eine digitale demokratische „Grammatik“ von Schule gestalten sollen?
- Wie verstehen Kinder und Jugendliche curriculare Vorgaben und welche Inhalte, Formate und Kompetenzen priorisieren sie bei der Entwicklung digitaler Lehr- und Lernkontexte?
- Wie verstehen Lehrer*innen und Pädagog*innen curriculare Vorgaben und welche Rolle spielen diese bei der Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen, die auf digitale demokratische Teilhabe und die Entwicklung von „citizenship“ zielen?
Untersucht werden soll, welche curricular verankerten Möglichkeiten Schüler*innen haben, Unterricht und Schule digital mitzugestalten und welche demokratischen Professionsverständnisse sich in welchen Interaktionskontexten entwickeln.
Referenzen:
Literatur:
Lo, Jane und Sören Torrau (2021): Teaching and learning about racism in social studies classrooms – an international dialogue. In: Oberle, Monika und Märthe Stamer (Hrsg.): Politische Bildung in internationaler Perspektive, Frankfurt am Main: Wochenschau.
Torrau, Sören (2020): Kombinierte Transkripte in der interpretativen Fachunterrichtsforschung. Beispiele, Traditionslinien und methodologischer Wert. In: Zeitschrift für Didaktik der Gesellschaftswissenschaften 11/2, S. 33–53.
— (2021a): ‚Zum ersten Mal sind die Schüler nicht mehr in der Schule.‘ Jugendliche als gesellschaftliche Akteur*innen im sozialwissenschaftlichen Distanzunterricht. In: Pirner, Manfred, Michaela Gläser-Zikuda und Michael Krennerich (Hrsg.): Menschenrechte von Kindern und Jugendlichen im Kontext Schule, Frankfurt am Main: Wochenschau, S. Im Erscheinen.
— (2021b): Was verbindet Demokratiebildung und Menschenrechtsbildung? Fünf Ebenen zur Förderung einer Kultur der Menschenrechte. In: Wochenschau. Sonderheft Demokratiebildung, S. Im Erscheinen.